Schnitzeljagd mit Geschichtsunterricht

Die drei Achtklässler standen unschlüssig auf der Frankenwerft, direkt vor dem Haxenhaus. Anna drehte ihren Fragebogen hin und her, während Tim und Lisa ratlos in die Altstadtgassen blickten.

„Hier steht irgendwas vom Stapelrecht“, murmelte Lisa. „Aber was soll das bitte sein? Stapelt man da Kisten, oder was?“

„Keine Ahnung“, antwortete Tim und zog die Schultern hoch. „Vielleicht so was wie ein mittelalterliches Regal?“

In diesem Moment kam ein Mann mit Ledertasche vorbei – der Wirt des Haxenhauses auf dem Weg in sein Lokal. Er grinste, als er die drei sah. Jedes Jahr das gleiche Bild: Schüler mit Schnitzeljagd-Bögen, die mitten in Köln stehen und trotzdem keinen Plan von der Geschichte ihrer Stadt haben.

„Kann ich euch helfen?“ fragte er freundlich.

„Oh ja, gerne!“, rief Anna erleichtert. Sie zeigte ihm den Fragebogen. „Hier steht: In der Nähe hat es etwas mit Stapelrecht zu tun. Wissen Sie, was das ist?“

Der Wirt lachte. „Da habt ihr aber Glück. Denn……Ihr steht sozusagen direkt drauf!

Da, wo früher mal das Stapelrecht ausgeübt worden ist!“

Drei erstaunte Gesichter.

„Wollen wir uns kurz ins Warme setzen?“, schlug er vor. „Ich erkläre es euch, drinnen im Haxenhaus.“

Neugierig folgten die Schüler ihm in das denkmalgeschützte Restaurant. Die alten Holzbalken, die Decke mit den goldbemalten Figürchen, die schweren Tische und die Wände voller Geschichte ließen sie staunen.

„Also“ begann der Wirt, während die drei Platz nahmen. „Das Stapelrecht hat der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden 1259 eingeführt. Er wollte damals die Kaufleute politisch beruhigen – und hat damit Köln ein riesiges Handelsmonopol verschafft.“

„Monopol?“, fragte Tim.

„Genau. Das Stapelecht bedeutete: Alle Waren, die den Rhein rauf und runtergeschippert kamen, mussten in Köln abgeladen, also gestapelt, werden. Für drei Tage durften nur Kölner Kaufleute damit handeln. Erst danach hatten die auswärtigen Händler eine Chance. Und man soll bedenken, andere Transportwege über Land waren wegen der zahlreichen Überfälle durch Räuberbanden sehr gefährlich und die Straßen waren in einem desolaten Zustand.“

Lisa runzelte die Stirn. „Und warum gerade hier?“

„Weil die Segelschiffe damals gar nicht weiterkamen“, erklärte der Wirt. „Dort, wo heute das Schokoladenmuseum steht, lag eine Felsformation quer im Rhein. Die hätte die Segel-Schiffe am Kiel beschädigt. Also mussten die Waren hier auf Lastkähne umgeladen werden.“

„Und wie sind die Lastkähne dann weitergefahren?“, fragte Anna.

„Da sie keine Segel hatten, wurden sie von Pferden am Ufer den Fluss entlang gezogen – das nannte man treideln. Stellt euch mal vor, wie das ausgesehen haben muss! Damit die Pferde durch den ständigen Blick auf das fließende Wasser nicht unruhig wurden, hatte man Ihnen Scheuklappen vor die Augen gesetzt. So mussten sie nicht mehr auf das Wasser schielen und konnte auch die „scheel Sick“, das andere Rheinufer nicht mehr sehen.“

Die Schüler machten große Augen.

„Ach ja, und billig war das Ganze natürlich nicht“, fügte er schmunzelnd hinzu. „Auf die gestapelten und verladenen Waren wurden bis zu sieben verschiedenen Steuern erhoben. Köln verdiente prächtig daran – so prächtig, dass es später zu den Gründungsmitgliedern der Hanse gehörte. In dieser damaligen Zeit fand auch ein großer Kongress der Hanse im Hansesaal des Rathauses statt.“

„Krass“ murmelte Tim. „Das steht in keinem Geschichtsbuch so spannend.“

„Na seht ihr“, sagte der Wirt. „Geschichte lebt, wenn man mitten drinsteht. Und das tut ihr hier – jeden Stein, den ihr hier im Haxenhaus anfasst, kann eine Geschichte erzählen. Es ist das einzige Restaurant am Rheinufer, was niemals, auch nicht während den zwei Weltkriegen, zerstört wurde. So, ich glaube, eure Schnitzeljagd-Frage hat eine Antwort gefunden und ihr könnt getrost weiter. “

Als die drei wieder auf die Frankenwerft hinausgingen, strahlten sie. „Okay, das war mal echter Unterricht“, meinte Lisa.

Und Anna notierte mit einem breiten Grinsen auf ihrem Fragebogen:
Antwort: Stapelrecht = Kölns Handelsmacht in der Hanse. Gelernt im Haxenhaus