Alles Joot?
1. Weihnachtstag: „Ein Seil muss her“
„Die schwimmt auf!“ Mit seinem ausgestreckten Arm zeigte Hendrik, unser Mann für alles und Hausmeister, auf das Wasser.
Gegen zehn Uhr am 1. Weihnachtstag hatten wir uns auf dem Buttermarkt-Steg getroffen und mit dem Boot ins Haxenhaus gepaddelt. Der Pegel des Rheins war mittlerweile so hochgestiegen, dass wir gerade noch so mit dem Boot unter den Türrahmen gepasst hatten. Nun saßen wir in Wattstiefeln auf der Treppe, die zur 1. Etage führte.
„Was schwimmt auf?“ Fragte ich.
„Da vorne, die Treppe schwimmt auf!“
„Wie willst du das wissen?“ Meinte ich zu Hendrik.
„Luur ens, der linke Treppenpfosten war gestern noch in der gleichen Höhe wie die Thekenablage.
Und jetzt ist die mindestens einen halben Zentimeter höher. Datt jeiht nit joot!“
„Und jetzt??? Was jetzt?? Diese Treppe ist denkmalgeschützt. Wir müssen unbedingt was tun!“ Erwiderte ich entsetzt. Das Fiasco nahm einfach kein Ende. Jeden Tag waren wir mit einer neuen Katastrophe konfrontiert.
„Die Treppe muss beschwert oder abgestützt werden“ sagte Hendrik.
„Und wie? Mit was? Sonst war es mir nie schwergefallen, für aufkommende Probleme Lösungen zu ersinnen. Aber seit diesem verdammten Hochwasser, der Überflutung des Haxenhauses kurz vor Heilig Abend, war ich wie gelähmt in meinem Kopf.
„Mit etwas Schwerem. Ach, ne, das geht nicht!“
Was geht nicht? Wieso können wir nicht etwas Schweres nutzen?“
„Weil, weil“ seufzte Hendrik…, weil wir in der Brühe nicht sehen können, wo wir und was wir wohin platzieren müssten und außerdem habe ich keine Ahnung, wie viel Gewicht wir benötigen, um die Treppe am Auftreiben zu hindern“.
Das schien sich wirklich zu einem Mega-Problem aufzuschaukeln. Die Treppe war uns sehr wertvoll und laut dem Denkmalschützer der Stadt Köln war sie, die einzige Treppe aus der Zeit des Klassizismus, die noch am Originalstandort in Köln vorhanden war.
„Und hast du keine andere Idee?“
„Warte mal. Was wäre, wenn… Hendrik dachte laut nach…, wenn wir die Treppe mit einem Kantholz abstützen würden?“
„Tolle Idee, Hendrik. Wirklich toll. Wir fahren heute, am 1. Weihnachtstag in den nächsten Baumarkt, wünschen Allen eine frohe Weihnacht und fragen nach einem schönen langen Kantholz. Bitte, Hendrik, wie soll das funktionieren?“
„Stimmt. Stimmt. Daran habe ich nicht gedacht. Die würden uns für bekloppt halten. Das funktioniert nicht. Aber, was ist mit den Hölzern, die auf dem Heumarkt unter den Paletten liegen. Die Paletten, auf denen die Spundwände transportiert wurden. Wir fragen einfach, ob wir ein Kantholz haben könnten.“
Hendrik war für eine praktikable Lösung immer gut. So stiegen wir ins Boot und fuhren unter dem Rahmen der Buttermarkttür nach draußen.
Zwischen dem aufgeblasenen Schlauchboot und dem Rahmen passte keine flache Hand mehr.
Auf dem Heumarkt fanden wir dann einige Kanthölzer. Dort war niemand zu sehen, den wir hätten fragen können und so, klauten wir das längste Kantholz und nahmen es einfach mit.
Aber jetzt kam die nächste Schwierigkeit. Wenn wir das lange Kantholz oben auf dem Boot transportieren wollten, würden wir damit nicht mehr unter den Türrahmen passen. Boot plus Kantholz ging nicht.
Das Wasser war einfach zu hochgestiegen!
„Was ist, wenn wir neben der Treppe, das Fenster neben dem Tisch, öffnen und dann das Kantholz durch das Fenster hineinbringen?“ Sprach Henrik mehr zu sich selbst als zu mir.
„Und vielleicht ist das Fenster so breit, dass wir mit dem Boot dadurch passen.“
„Hört sich an wie eine gute Idee, Hendrik. Los geht´s.“ antwortete ich.
Wir ließen das Kantholz auf den Steg am Buttermarkt und ich paddelte mit der „MS Rheingarten“, so hatten wir unser Boot getauft und auch mit schwarzem Edding beschriftet, zurück ins Lokal. Das Wasser war mittlerweile extrem hoch. Ich musste mich ganz flach ins Boot quetschen, um noch unter den Türrahmen ins Lokal gleiten zu können. An der Treppe angelangt versuchte ich das breitere Fenster an der Frankenwerft-Front zu öffnen. Das Fenster klemmte. Es hatte schon zu lange im Hochwasser gestanden und sich wahrscheinlich verzogen. Im Boot knieend riss und zog ich, so gut ich konnte an dem Fenstergriff. Es tat einen Ruck und mit einem satten Schwung, den Fenstergriff in der Hand schoss ich nach hinten und flog mit einem lauten Schrei in einer Rolle rückwärts über den Rand des Bootes. Das Wasser war eiskalt und im ersten Moment verlor ich die komplette Orientierung, bis ich etwas Hartes unter den Füßen spürte. Ich war auf einer der Treppenstufen gelandet und konnte mich am Geländer hochziehen. Die dicke Fleecejacke, meine Unterwäsche und der Winterpullover sogen sich in Sekundenschnelle voller Wasser. Und ich hatte die Hose voll! Voller Wasser! Meine Wathose, die mich bisher trocken gehalten hatte, war bis bis zur Hüfte mit der kalten Brühe vollgelaufen.
Henrik hatte meinen Schrei gehört und rief: „Watt es loss? Es jett passiert?“
„Ne, nicht viel. Ich bin nur ins Wasser gefallen. Aber das Fenster habe ich schon einen Spalt weit aufbekommen.“
Nass wie ich war, hievte ich mich zurück ins Boot, um durch das Fenster zu fahren. Kaum hatte ich ein Viertel des Bootes durch das Fenster geschoben, erwischte mich die Strömung der Flut, die mit Gewalt an der Rheinseite am Haus vorbeischoss, so stark, dass das Boot hochkant sich im Fensterrahmen verklemmte und ich schon bald wieder ins Wasser gefallen wäre. Glücklicherweise bekam ich den Fensterrahmen zu packen und konnte das Boot wieder zurückschieben.
„Wo blievst du? Mir wird et kalt auf dem Steg!“ Brüllte Henrik.
„Das klappt so nicht! Die Strömung ist zu stark.
Aber ich habe eine andere Idee. Ich komme raus zu dir“ schrie ich zurück.
Ich band das Boot am Treppengeländer fest und holte aus der oberen Etage, in der wir vor Tagen das komplette Mobiliar und alles andere aus Restaurant und Keller deponiert hatten, ein langes dickes Seil und stiefelte die Treppe hinunter. Bei jedem Schritt stiegen gurgelnde Geräusche aus meinen Wattstiefeln. Meine Füße und mein Körper wurden von Minute zu Minute kälter und frostiger. Mit dem Seil im Boot fuhr ich nach draußen zu Hendrik, der schon mit dem Kantholz in der Hand auf mich wartete.
„Wat haste vor?“ Fragte er, als er mich mit dem Seil sah.
„Wir binden das Seil an einer Außenlampe am Haus auf der Buttermarktseite fest, leiten es um das Haus herum durch die Salzgasse und befestigen das Ende vom Seil an der Lampe neben dem Fenster auf der anderen Seite des Hauses. Die Strömung ist auf der anderen Seite so stark, dass wir uns nur mit dem Kantholz und dem Boot an dem Seil entlang hangeln können, um dann endlich das Kantholz durch das Fenster an der Treppe zu schieben.“
„Hürt sisch joot an“ meinte Henrik lapidar.
So stiegen wir beide mit dem Seil, aber ohne Kantholz in das Boot, glitten weg vom Steg, befestigten, wie gesagt, das Seil an der Außenlampe auf der Buttermarktseite. Dann gelang es uns, durch die Salzgasse das Seil auf die andere Gebäudeseite zu bringen und dort zu befestigen.
Dann holten wir das Kantholz und wir beide schafften es, das Boot Meter für Meter durch die Salzgasse bis zum offenen Fenster auf der Rheinseite zu schieben und das Kantholz ins Gebäude gleiten zu lassen.
Wir wollten nicht riskieren, mit dem Boot um die Ecke hinein in die reißende Strömung zu fahren und paddelten deshalb zurück, um durch die Buttermarkttür ins Haxenhaus zu gelangen.
An der Treppe angekommen griffen wir nach dem schwimmenden Holz, richteten es auf, fanden die unterste Stufe der Treppe und verkeilten dieses an der Erdgeschoss-Decke.
Geschafft! Die Treppe würde nun vom Aufschwimmen gehindert werden.
„Hätt Jo jeklapp!“ meinte Henrik „Äver, wie siehst du dann us. Ding Leppe sin jo janz blau!“
Erst jetzt, nachdem die Aktion gelungen zu sein schien, merkte ich, wie ich am ganzen Körper zitterte und ich mich vor lauter Kälte kaum noch bewegen konnte.
In nur wenigen Minuten waren wir in der oberen Etage, wo ich für den Notfall trockene Klamotten hinterlegt hatte. Ich konnte mich umziehen, abtrocknen und wir genehmigten uns ein paar kleine Gläschen hochprozentige Seelenwärmer.
Bis nächsten Freitag
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