Alles joot?
Nachrichten in den Medien sind heutzutage voll von Klimawandel, Wetterkapriolen und außergewöhnlichen Naturereignissen.
Anders als zu Beginn der 90ziger Jahre in Köln, wo der Sommer mit mäßigen Temperaturen vom Winter mit unregelmäßigem Hochwasser, der Adventsflut abgelöst wurde.
Und hier sind wir 1993, genau vor 30 Jahren, im Haxenhaus am Rheinufer in der Kölner Altstadt. Das Adventsgeschäft mit seinen zahlreich gebuchten Weihnachtsfeiern war gelaufen. Es war der 20. Dezember, nur noch wenige Tage bis Heilig Abend, als telefonisch die Warnmeldung an alle Anwohner und Gewerbetreibende der Altstadt ging:
„Achtung! Achtung! In den nächsten Tagen ist mit einem erhöhten Rheinpegel zu rechnen und es kann sein, dass die Pegelmarke von 10,00 Meter überschritten wird! Eine Überschwemmung droht allen Anwohnern, besonders in der Altstadt“
Diese Meldung schlug wie eine Bombe ein.
Alle hatten mitbekommen, dass es sowohl im September, Oktober als auch im Dezember aus allen Wolken geschüttet hatte. Alleine im Dezember war zweimal so viel Regen gefallen, wie sonst in einem normalen Wintermonat. Die Böden ließen daraufhin kaum noch Wasser durch, was zum Anschwellen der kleinen Bäche und Flüsse im Einzugsbereich des Rheins führte.
Überschwemmung in der Altstadt. 1993 war das erste Mal, dass wir mit dieser Situation konfrontiert wurden. Und ehrlich gesagt auch bis dahin keine Gedanken gehabt hatten, was zu tun sei. Guter Rat war von Nöten!
Ich rief unser Verpächter an, in der Hoffnung, dass dieser schon einmal ein Hochwasser mitgemacht und dementsprechend Erfahrungen hatte:
„Hallo, hier spricht Fromme in Thorr.“ Antwortete der damalige Besitzer des Hauses, in dem wir das Haxenhaus betrieben.
„Guten Abend, hier spricht der Wirt vom Haxenhaus, ihr Pächter des Gebäudes Frankenwerft 19, in der Altstadt.“
„Was kann ich für sie tun?“
„Ja, also, in den Nachrichten wird vor einer sogenannten Adventsflut gewarnt und ich wollte fragen, ob Sie mir sagen können, was in diesem Fall zu tun ist. Wie wir uns vorbereiten können“
Die Antwort war nicht sehr ermutigend:
“ Jo Jong, do musste ersten alles, wat em Keller es, ausräumen. Dann bringste die janzen Tische und Stöhl in der 1.Stock. Onge im Restaurant stellste de Zijarettenautomat und die Kisten mit Biergläser op de Finsterbank. Weißt du wäröm?
„Nein, ich habe keine Ahnung. Wann kommt das Wasser ins Restaurant?“ Fragte ich.
„Also, Jong. Dat es esu; wenn dat Wasser über die Schutzwand schwappt, dann ist der Pegel üver de 10 Meter. Dann dauert et nur ein paar Minuten, bis das Wasser zuerst in den Keller und dann in et Restaurant kütt. Ever keine Angst, dat kütt nur bis an de Knie, nit höher.“
„Aber ihr wisst doch nicht, wie groß ich bin und wie hoch meine Knie über dem Boden sind.“ Sagte ich und merkte, wie sinnlos meine Antwort war. Ein paar Zentimeter mehr oder weniger spielten doch keine Rolle.
„Auf jeden Fall, halt die Eingangstüren auf, damit das Wasser ungehindert eindringen kann. Wenn du sonst noch Fragen haben solltest, ruf mich an. Hörst du? Ich wünsche euch alles Gute.
Moment, Moment noch; ganz, ganz wichtig, pass auf, dass niemand, hörst du, keiner, mehr im Keller ist, wenn dat Wasser kütt.
Weil, der dann noch im Keller ist, hat keine Chance mehr, rauszukommen. Also noch Ens: Alles Gute. Tschüss.“
Mir wurde langsam bewusst, wie wenig wir über eine Überschwemmung und die Vorbereitungen wussten.
Am Dienstag, dem 21.12. wurden gegenüber dem Haxenhaus auf dem Buttermarkt Baugerüste, sogenannte Stege aufgebaut, um den Anwohner trotz Überschwemmung das Betreten ihrer Häuser zu ermöglichen. Die Straßen der Altstadt hatten sich über Nacht in einen wuselnden Haufen von PKW‘s mit Anhängern, LKW‘s von THW, Feuerwehr und eine Menge von hilfsbereiten Menschen verwandelt. Überall wurden Keller ausgeräumt, Hauseingänge zugemauert und einige Häuser schraubten deren Hochwasserschutz aus Metall an die Kellerlöcher.
Im Haxenhaus war die ganze Mannschaft aus Köchen, Kellnern und selbst Mitarbeiter aus dem Büro dabei. Spinde, Getränkekisten, Lebensmittel, Spirituosen, Gemüse und alles, was beweglich war in den 1. Stock zu bringen. Auf jeder zweiten Treppenstufe stand eine helfende Hand und aus dem Keller wurde alles nach oben gehievt. In kürzester Zeit waren die Sachen nach oben transportiert. Es dunkelte schon, als wir und unsere Helfer in einem ungewohnt leeren Restaurant darauf warteten, was da auf uns zukommen würde. Der Bierhahn war abgedreht, sämtliche Schubladen für Getränke ausgeräumt, die Heizung aus und als wir nach dieser schweißtreibenden Ausräum-Aktion etwas Wärmendes zu uns nehmen wollten, schickten wir einen in den 1. Stock, um eine Flasche Schnaps mit ein paar Pinchen zu holen. Es dauert nicht lange und es wurde uns warm. Wir diskutierten noch über die verschiedensten Möglichkeiten, wie das Wasser in das Gebäude einströmen würde, als der Möbelschreiner, der uns geholfen hatte, fragte:
„Sagt mal, wie kommen wir hier aus dem Haxenhaus raus, wenn das Wasser kommt?“
„Wie, wie kommen wir hier raus?“ kam prompt die Gegenfrage.
„Ja, wie kommen wir hier raus? Die Stege, die von der Stadt aufgebaut wurden, befinden sich auf der anderen Seite des Buttermarktes! Nicht auf unserer Seite!“
Ratlos schaute sich die Runde an, bis der Schreiner sich wieder zu Wort meldete:
„Ich habe eine Idee! Im Kofferraum meines Autos liegt seit dem Sommerurlaub noch das Schlauchboot meiner kleinen Tochter. Das hole ich, damit derjenige, der noch zuletzt hierbleiben muss, nach draußen rudern kann.“
Er lief zum Parkhaus und nach wenigen Minuten kam er zurück. Uns blieb das Lachen im Hals stecken. Er trug auf seinem Arm ein weißes Teil aus Plastik, verziert mit rosa Blümchen und gelben Entchen. Das Boot seiner Tochter.
„Leider habe ich die Pumpe zum Aufblasen des Bootes nicht mehr gefunden. Tut mir leid“
Die Durchsage im Radio warnte, dass die Pegelmarke von 9,95 Meter erreicht sei und die Flut sich in wenigen Minuten in die ganze Altstadt ergießen wird.
Ohne Absprache stürzten wir uns auf das Boot. Jeder fand einen der Füllstutzen und pumpten, was die Lungen hergaben. Schnell war das Bötchen aufgepumpt und meine Helfer sprangen aus dem Lokal auf die Stege und ich zog mich mit dem schicken Bötchen zurück auf die Treppe, die in den 1. Stock führte.
Kurz darauf gab es ein dunkles Grollen, dann ein Rauschen und im Nu schoss das Wasser durch die offengelassene Eingangstür auf der Frankenwerft Seite. Es dauerte höchstens 2 Minuten und der Keller und das ganze Lokal standen unter Wasser.
Ich ließ das Bötchen zu Wasser, stieg vorsichtig hinein und paddelte durch die Buttermarkttür nach draußen zum Steg. Ich habe mich nochmal umgedreht, nochmal in das Haxenhaus geschaut und mich gefragt, ob und wann ich wieder in das Restaurant zurückkommen werde.
Beim nächsten Mal erzähle ich, wie es weiter ging.
Bis nächsten Freitag
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